50% aller Projekte scheitern – aber wie messen wir eigentlich den Projekterfolg?
Aug 16, 2017Stellen Sie sich bitte einmal folgende Situation vor. Sie haben die Frau (oder den Mann) Ihrer Träume gefunden und wollen heute das erste Mal ausgehen. Sie überlegen, zuerst in ein Restaurant zu gehen und anschließend ein paar Cocktails zu trinken. Sie rechnen damit, ca. 80€ auszugeben und gegen Mitternacht zu Hause zu sein.
Szenario 1: Das Essen ist wunderbar aber die Unterhaltung stockt immer wieder. Sie gehen mit Ihrer Traumfrau in die angesagteste Cocktailbar der Stadt aber auch hier herrscht immer wieder verlegenes Schweigen. Gegen 23:45 verabschieden Sie sich höflich. Auf der Rückfahrt kalkulieren Sie, dass Sie tatsächlich knapp 80€ ausgegeben haben.
Szenario 2: Das Essen ist wunderbar und Sie finden sofort gemeinsame Themen. Sie reden und reden und lachen und lachen. Eine Geschichte jagt die nächste. Nach vielen Stunden sind Sie die letzten Gäste im Restaurant und werden hinauskomplimentiert. Sie setzen die Unterhaltung in der Cocktailbar fort, der Alkohol befeuert die überschwängliche Stimmung. Gegen drei Uhr morgens verabschieden Sie sich, Ihre Traumfrau gibt Ihnen einen Kuss und bittet Sie, morgen anzurufen. Auf der Rückfahrt stellen Sie fest, dass Sie weit über 200€ ausgegeben haben.
In welchem Szenario sind Sie erfolgreich? Aus meiner Sicht Szenario 2: Sie sind Ihrer Traumfrau ein Stück näher gekommen. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, dass der Abend anders gelaufen ist als geplant.
Vor ein paar Jahren führte ich ein Projekt, um eine neue Zahlart einzuführen. Hinsichtlich der Projektdurchführung waren wir erfolgreich. Aber die Akzeptanz der Zahlart blieb weit hinter den Erwartungen zurück und die prognostizierten Umsatzsteigerungen traten nicht ein.
In einem anderen Projekt benötigten wir ein Jahr länger als geplant und die Kosten lagen mehrere Millionen über dem Budget. Trotzdem war das Projekt aus Sicht des Unternehmens ein Erfolg, weil die realisierten Kosteneinsparungen die Projektkosten locker kompensierten.
Wie messen wir den Erfolg unserer Projekte? Ist unser Projekt erfolgreich, wenn wir „in Time, in Scope und in Budget“ abliefern? Oder sind wir erfolgreich, wenn wir den erwarteten Nutzen tatsächlich erzielen?
Aus meiner Sicht gibt es hier kein entweder … oder, sondern ein sowohl … als auch. Wir müssen einerseits die Lieferergebnisse erwartungsgemäß herstellen und andererseits auch den Nutzen erzielen. Die folgende Grafik veranschaulicht dies.
Welche Aufgaben stecken denn im rechten Teil der Grafik? Eine ganze Menge.
Vor dem Projektstart
- Definition des Projektziels. Beispielsweise Reduzierung der Kosten im Call Center um 30% innerhalb von 12 Monaten.
- Identifikation möglicher Werttreiber. Dies können in diesem Beispiel z.B. Reduzierung der Anruflänge, Reduzierung der Anzahl der Anrufe, Outsourcing, Automatisierung durch Chatbots o.ä. sein.
- Auswahl initialer Werttreiber und Identifikation von Maßnahmen. Beispielsweise Reduzierung der Anruflänge durch Steigerung der Systemperformance. Dies ist gleichzeitig der initiale Scope des Projektes.
- Erstellung eines initialen Business Cases.
Während des Projektes
- Identifikation und Management der Wertrisiken (value risks). Dies sind die Risiken, deren Eintreten dafür sorgen kann, dass der erwartete Nutzen nicht eintritt. Dieser Punkt wird häufig vernachlässigt, daher möchte ich etwas detaillierter darauf eingehen.
- Wenn ein Risiko besteht, dass Kunden das Projektergebnis nicht akzeptieren, dann helfen Methoden wie Design Thinking oder Lean Startup sowie eine interaktive Vorgehensweise. Ziel ist, mit möglichst geringem Aufwand herauszufinden, ob potenzielle Kunden das Projektergebnis nutzen würden und wie hoch ihre Zahlungsbereitschaft ist.
- Wenn ein Risiko besteht, dass das Projektergebnis von internen Anwendern nicht genutzt wird, dann könnten Kommunikationsmaßnahmen, Workshops, Key-User-Konzepte o.ä. helfen.
- Wenn ein Risiko besteht, dass Partner das Projektergebnis nicht nutzen, dann könnten Sie die Vertragsgestaltung überprüfen und den Nutzen für den Partner herausstellen.
- Entscheidend ist, dass Sie die Wertrisiken möglichst früh adressieren. Die beste Projektdurchführung hilft Ihnen nichts, wenn das Projekt nicht den erwarteten Nutzen bringt.
- Bestätigung oder Anpassung von Werttreibern und/oder Maßnahmen, d.h. Veränderung des Scopes. Dieser Punkt ist ja eigentlich ein „no-go“ in klassischen Projekten. Sofern Sie allerdings die Wertrisiken adressieren, ergibt sich mit großer Wahrscheinlichkeit eine Veränderung.
Was heißt dies eigentlich für Ihre Rolle als Projektleiter? Ich kenne viele Projektleiter, die ausschließlich den linken Teil der Grafik als ihre Aufgabe ansehen. Dies ist das klassische Szenario. Der initiale Scope und Business Case wird von Auftraggeber definiert, Scopeänderungen werden vom Lenkungsausschuss beschlossen. Dieses Szenario geht davon aus, dass die Annahmen hinter den Werttreibern und Maßnahmen richtig sind und nicht verändert werden müssen.
Dies ist aus meiner Sicht immer seltener der Fall. Das Unternehmensumfeld wird immer schnelllebiger, das Kundenverhalten immer weniger vorhersagbar. Einmal getroffene Annahmen hinsichtlich Werttreibern und Maßnahmen sollten kontinuierlich überprüft werden. Daher sollte es einen weiteren (fachlichen) Projektleiter geben, der die Aufgaben im „rechten“ Teil der Grafik wahrnimmt. Er ist dafür verantwortlich, dass der erwartete Nutzen (Wert) tatsächlich erzielt wird. Diese Aufgabe ähnelt insofern stark der Rolle des Product Owners in Scrum.
Insofern sollten wir den Projekterfolg sowohl an der Qualität der Projektdurchführung messen als auch an der Erzielung des erwarteten Nutzens.
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